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Sonntag, 25. August 2013 Raumschiff SS Sokolov gelandet FESTSPIELE / SOLISTENKONZERT SOKOLOV 25/08/13 Ein Quantenforscher? Oder einer wie Stephen Hawking, der dem expandierenden Universum auf die Spur kommen will? Jedenfalls einer, der sich mit Raum und Zeit auskennt: So jemand könnten vielleicht auch das Phänomen Grigory Sokolov erfassen. VON HEIDEMARIE KLABACHER |
Was zwischen zwei Tönen des langsamen Satzes der Hammerklaviersonate passiert – wenn Grigory Sokolov sie spielt – lässt sich wahrscheinlich auch mit dem Vokabular des Quantenphysikers nicht beschreiben. Metaphysiker? Machen die Dinge meist nur komplizierter. Schöpfungstheologen? Werden gern irrational.Und kompliziert oder irrational ist es nicht, Grigory Sokolov macht. Vielleicht macht er auch nur das - als einer der ganz ganz wenigen im internationalen Konzertbetrieb – was Musiker machen sollten: Die Musik ernst nehmen. Das Adagio sostenuto - der dritte Satz der Klaviersonate Nr. 29 B-Dur op. 106 „Große Sonate für das Hammerklavier“ – in der Interpretation von Grigory Sokolov eröffnete den Blick in Makro- und Mikro-Kosmos quasi gleichzeitig. Nach wenigen Momenten war man weg-gebeamt aus dieser Welt. Man schien in der scheinbar absoluten Leere des Alls zu schweben, vorbei an glitzernden Sternenstaub, der sich alle Lichtjahre zur intergalaktischen Materiekernen ballte, die in wahren Explosionen wieder neue Welten eröffnet. Vielleicht kann man es doch mit dem Vokabular des gewöhnlichen Musik-Freundes oder -Kritikers ausdrücken? Den langsamen fis-Moll Satz hat man noch nie so extrem langsam gehört, und auch noch nie so differenziert im Anschlag. Jeder einzelne Note schien das gesamte Farbspektrum des möglichen Klaviertons nicht nur zu reflektieren, sondern erst zu erzeugen: funkelnd und überirdisch strahlend. Dabei hat Grigory Sokolov den Satz keineswegs zerdehnt oder gar ihn in Einzelteile zerfallen, sondern einen einzigen große Spannungsbogen aufgebaut. Die Interpretation der anderen Sätze entsprach diesem Schöpfungsakt. Triumphierend aufbrausend, vielleicht mit einem Hauch Ironie überglänzt, ließ er das Allegro vorüber rauschen. Das Scherzo - Assai vivace – war ein schier beängstigender Geisterspuk. Die „monumentale“ Schlussfuge des vierten Satzes war wohl überwältigend, aber nicht „monumental“. So leicht so selbstverständlich durchschaubar, so mitreißend musikantisch kann komplexester Kontrapunkt sein… Dass extra-terrestrische Raumschiff SS Sokolov hatte aber nicht nur Beethoven dabei. Zuvor war die Galaxis Schubert erschlossen worden – und zwar nicht anhand großer Brocken, sondern kleinerer – aber eben enorm energiereicher Sonnen: Mit den Vier Impromptus für Klavier op. 90 D 899 und den Drei Klavierstücke D 946 schenkte Grigory Sokolov nicht weniger erhellende Erfahrungen. Dass er diese Pretiosen virtuos gespielt hat, muss man nicht eigens sagen. Faszinierend besonders in den drei „kleinen“ Klavierstücken war das Gefühl von Geschlossenheit, das Sokolov entstehen lassen konnte, so zerrissen, so disparat und vielfältig in Farben und Emotionen diese gewaltigen und gewaltsamen Kleinigkeiten scheinbar daherkommen. Nöte und Ängste werden da nicht schöngefärbt, Abgründe nicht mit Gefälligkeit gefüllt, unüberwindliche Hindernisse nicht mit pianistischen Schönklang zur Trivialität geschliffen. Grigory Sokolov lässt Schubert und den Schubert-Hörer durchaus am Rande des Abgrunds wandern – aber er eröffnet Ausblicke und Persepektiven der Hoffung. Sokolov war in Salzburg! Gottseidank gehört er inzwischen - intendantenübergreifend - zu den unverzichtbaren Künstlern. Sokolov hat - in sich verschlossen, ein Solitär auch im Auftreten - wieder einmal allen gezeigt, wie mit Musik umzugehen wäre. Bild: SFS/Wolfgang Lienbacher |