![]() |
SALZBURGER FESTSPIELE Grigory Sokolov: Wunder wie in Trance und Traum Von Karl Harb | 26.08.2013 - 09:38 Grigory Sokolovs Klavierspiel bewegt sich mehr und mehr im intergalaktischen Raum. Längst ist der russische Pianist sein eigenes Universum, und also ist es auch egal, wo er spielt. |
Entführung in ein Labyrinth Dann die Drei Klavierstücke, D 946, von Schubert. In jedes einzelne nimmt Sokolov die Hörer mit wie in ein Labyrinth. Hinter jeder Ecke tun sich überraschende, ungeheure Dinge auf, beleuchten eine andere Szenerie, verzweigen sich neue, kühne Wege, gabeln sich wieder, um doch zu einem Ausgang zu führen: Sokolov scheint alle Geheimnisse zu kennen und spielt sie auch mit einem unglaublichen Variantenreichtum in Anschlag, Melodiebildung, dynamischen Finessen, Artikulation, Phrasierung aus. Es ist, wie alles auf diesem anderen Stern, schlichtweg unbeschreiblich. 75 Minuten vergingen wie in Trance. Und es kam noch kolossaler: über 50 Minuten, länger als gewohnt, Beethoven, die Hammerklaviersonate, vielleicht das größte Rätselwerk der Klavierliteratur. Sokolov schont nichts und niemanden. Er überwältigt, aber nicht im virtuosen, sondern im radikalsten Sinn. Das ist nur noch ein Spiel der Entgrenzungen. Dagegen kann man, so rigoros gedacht, so kompromisslos an und über die Grenzen gespielt das ist, auch Vorbehalte hegen. Am Ende aber, als alle Stauch-, Spreiz- und Sprengkräfte, alle Ausreizungen des Klangs sich in der gigantischen Doppelfuge entladen, die Sokolov mit leichtester Anmut und schwerster Energie in den Saal zaubert, hat auch Beethoven jenen Stern erreicht, auf dem Sokolov sitzt: zwei einsame Musikdenker, traut vereint. Das ist nicht nur eine Sonate, sondern auch ein Interpret außerhalb von Zeit und Raum. Die Musik erstrahlt im Dunklen Gilt es da noch, auf die reale Zeit zu schauen? Im Großen Festspielhaus - das wie alle Orte, an denen Sokolov spielt, so abgedunkelt ist, dass sich alles auf die Musik konzentriert - ist es 23.40 Uhr. Und jetzt beginnt, in einem immer gleichbleibenden Auftrittsritual, das die Sokolov-Gemeinde genau einzuschätzen weiß, der dritte Teil: sechs Zugaben diesmal, fünf Petits Fours von Rameau, mit den kühnsten, verrücktesten, entrücktesten Verzierungskunststückchen, die sich denken lassen, dann noch Brahms. Jetzt ist das Klavier nur noch ein Zauberkasten für Gute-Nacht-Märchen und Sokolov der Traumonkel. 30 Minuten dauert dieser glückselige Spuk. Aber wir sind nicht eingeschlafen, sondern putzmunter geworden. Jetzt müssen wir in die Nacht hinaus. Die Erde hat uns wieder. Aber die Gedanken, die fliegen... |